Wann beginnt der Sonderkündigungsschutz für Schwangere?

Mit dieser Frage musste sich vergangenes Jahr die 4. Kammer des Landesarbeitsgerichts Baden-Württemberg beschäftigen (Urteil vom 01.12.2021 – 4 Sa 32/21).

 

Die Klägerin war bei der Beklagten seit dem 15.10.2020 auf ein Jahr befristet als hauswirtschaftliche Helferin mit einer sechsmonatigen Probezeit angestellt. Innerhalb der Probezeit konnte der Klägerin laut Arbeitsvertrag mit einer Frist von zwei Wochen gekündigt werden. Nach ordnungsgemäßer Anhörung des Betriebsrats wurde der Klägerin mit Schreiben vom 06.11.2020, zugegangen am 07.11.2020, zum 23.11.2020, hilfsweise zum nächstmöglichen Termin gekündigt.

 

Die Klägerin hielt die Kündigung wegen des Verstoßes gegen das Kündigungsverbot des § 17 Abs. 1 Mutterschutzgesetz (MuSchG) für unwirksam. Sie behauptete, zum Zeitpunkt des Kündigungsausspruchs bereits schwanger gewesen zu sein. Am 26.11.2020 wurde ihr die Schwangerschaft in der sechsten Woche von ihrer Frauenärztin bestätigt. Die verspätete Mitteilung an die Beklagte sei unverschuldet. Die Mitteilung sei unverzüglich nach Kenntnis erfolgt. Außerdem führt die Klägerin an, dass der Betriebsrat im Nachgang von der Schwangerschaft hätte in Kenntnis gesetzt werden müssen und die Anhörung in Ermangelung dessen nicht ordnungsgemäß erfolgt sei. Im Laufe des Verfahrens legte die Klägerin eine weitere Schwangerschaftsbescheinigung ihrer Frauenärztin vom 27.01.2021 vor, in der der voraussichtliche Geburtstermin auf den 05.08.2021 datiert wurde.

 

Sowohl das Arbeitsgericht in 1. Instanz, als auch das Landesarbeitsgericht in 2. Instanz haben die Kündigungsschutzklage der Klägerin abgewiesen. Entgegen der ständigen Rechtsprechung des BAG, wonach vom voraussichtlichen Entbindungstermin 280 Tage zurückgerechnet wird, um von einem Bestehen des Sonderkündigungsschutzes auszugehen, lehnt das LAG diese Berechnung ab. Maßgeblich für den Sonderkündigungsschutz ist demnach der Zeitpunkt der Befruchtung. Die Befruchtung der Eizelle erfolgt durchschnittlich erst am 12./13. Zyklustag, weshalb eine Rückrechnung vom voraussichtlichen Entbindungstag um 266 Tage erfolgen kann. Dieser Rechenweise folgend, hat zum Zeitpunkt des Ausspruchs der Kündigung noch keine Schwangerschaft der Klägerin vorgelegen. Ein Anscheinsbeweis greift überdies nur für Regelverläufe. Eine frühere Schwangerschaft ist praktisch ausgeschlossen und die Darlegungs- und Beweislast für einen derart atypischen Schwangerschaftszeitpunkt liegt bei der Klägerin.

Außerdem hat das LAG entschieden, dass, auch wenn man vom Bestehen einer Schwangerschaft schon zum Zeitpunkt des Ausspruchs der Kündigung ausgehen wollte, die Klägerin sich nicht auf den Sonderkündigungsschutz berufen kann. Denn die Zeitspanne von elf Tagen zwischen der Kenntnis der Klägerin über die Schwangerschaft am 26.11.2020 und der Kenntniserlangung durch die Beklagte ist zu lang. Das Verschulden des Prozessbevollmächtigten der Klägerin, die Mitteilung nicht direkt der Beklagten zukommen zu lassen, sondern nur dem Gericht, ist ihr über § 278 BGB zuzurechnen. Da die Beklagte erst nach Ausspruch der Kündigung von der Schwangerschaft Kenntnis erhalten hatte, musste der Betriebsrat nicht mehr ergänzend angehört werden.

 

Das Urteil ist wegweisend, da es die ständige Rechtsprechung des BAG zur Berechnung des Entbindungstermins in Frage stellt (wie zuvor LAG Niedersachsen, Urteil vom 12.05.1997 – 5 Sa 152/96). Ob das BAG seine Rechtsprechung anpasst bliebt abzuwarten – jedenfalls ist die Revision zugelassen.

 

Sollten Sie Fragen zum Sonderkündigungsschutz haben, wenden Sie sich gerne an unsere Arbeitsrechtsexperten!

 

 

Jennifer Schild                                                    Hubert Beeck

Rechtsanwältin                                                   Rechtsanwalt

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